Industrial Images - Catalogue
Caught in the vortex of dream factories

Are these images from a film or a dream? Rapid cuts or the overlapping of narrative strands? The imagery employed by Yulia Kazakova is characterized by perspectives with the depths of ravines threatening to pull in the viewer and architectural proportions that define new relations for human existence. The discoveries of the Renaissance meet the developments in cyberspace. Industrial and technological elements are used to create a new architecture, which seems to insist on annulling gravity. Yet, familiar poses, gestures, and faces of the depicted protagonists provide a solid ground for the viewer. The individuals of this world have long since come to terms with their surroundings and carry on with their routines regardless.

Upon deeper immersion into the “Industrial Images” by Yulia Kazakova, one senses the revolutionary impact that the period of industrialization had on technology and the history of mankind as a whole. In contrast to the usual melancholy and stereotypical industrial aesthetic, Yulia Kazakova provides industrial architecture, which has largely fallen into disrepute, with a new contextual, spatial, and temporal localization, dissolving its essence through structures altered by time and surroundings. What ensues is a deconstruction for the purposes of new, illusion-like constructions.

As a result of their enormity and extreme perspectives, the “Industrial Images” convey a sense of utopia and speed that literally absorb the viewer into the picture. The attached figures display realistic volumes, yet seem flat at the same time. There is something artificial and inappropriate about them, as if they were oblivious décor to the surrounding architecture. They intentionally serve as interfering elements, preventing the viewer from recollecting any real space, and, yet, they provide an anchor in the composition where the eye can occasionally find a resting place.

Yulia Kazakova’s paintings are composed according to the principle of collage. Found images, personal photographs, and drawings provide the inspiration for her imagery. She liberates motifs, lines, and forms from their original context and uses them as the foundation for her painterly graphics, as the artist refers to her own paintings. Her conceptual work is completely thought-out and precise. As if engaging in archival work, Yulia Kazakova determines the usability of image fragments and sorts the found objects anew. The selected motif fragments are assembled together like puzzle pieces into a totally new visual world. Through the metamorphosis of motifs as well as their repetition and consolidation, novel and unreal architectural spaces take form, evoking a sense of endlessness. Foreground and background melt into each other without, however, any abstraction of the individual elements of the subject. The basis of Yulia Kazakova’s artistic work is a constant figurativeness in design, whereby the realistic moments in the paintings are superficial while simultaneously intensifying a sense of irritation in the composition as a whole.

Illusionist constructions through deconstruction, alienation through superimposition, consolidation, and repetition, associated spatial realities through linear constructs, composed painterly surfaces via abstracted real volumes – Yulia Kazakova’s work offers us a reinvention of architecture and living space. Her condensed industrial worlds bear witness to a fundamental understanding of industrial landscapes and culture, which ultimately reflect the innovative linking of past and present in society and art. 
 
 

© Constanze Musterer Art Historian M.A.

Translated from German by John Bergeron.

Katalog Industriebilder
Im Sog der Traumfabriken

Bilder wie aus einem Film oder einem Traum? Schnelle Schnitte oder Überlappungen fiktionaler Erzählstränge? Perspektiven tief wie Schluchten, die einen in sich hinein zu ziehen drohen, und architektonische Größenverhältnisse, die dem menschlichen Dasein neue Relationen geben, bestimmen die Bildformulierungen von Yulia Kazakova. Die Entdeckungen der Renaissance treffen auf die Entwicklungen im Cyberspace. Aus Bestandteilen von Industrie und Technik ist eine neue Architektur gebaut, die danach drängt, die physikalische Schwerkraft auszuhebeln. Doch vertraute Posen, Gesten und Gesichter der Protagonisten erden den Betrachter. Der Mensch mitten im Hier hat sich schon längst arrangiert und operiert unbeirrt in seinen Gewohnheiten.

Beim Eintauchen in die Industriebilder von Yulia Kazakova ist das revolutionäre Moment, das einst die Zeit der Industrialisierung für die Geschichte der Menschheit und der Technik prägte, spürbar. Jedoch entgegen jeglicher Melancholie oder stereotyper Industrie-Ästhetik gibt Yulia Kazakova den oft in Verruf geratenen Industriearchitekturen eine neue kontextuelle, räumliche und zeitliche Verortung, indem sie deren eigentliche Identität herauslöst aus den durch Zeit und Umwelt veränderten Bauwerken. Eine Dekonstruktion zum Zwecke neuer illusionistischer Konstruktionen.

Die Industriebilder vermitteln aufgrund ihrer Größe mit den oft extremen Perspektiven Utopie und Geschwindigkeit, die den Betrachter förmlich in das Bild hinein saugen. Die hinzugefügten Figuren zeigen realistische Volumina und wirken dennoch flach. Etwas künstlich und fehl am Platz trotzen sie als selbstvergessene Statisten der sie umgebenden Architektur. Sie sind als Störelemente bewusst gesetzt, um jegliche Erinnerung an einen realen Raum zu vermeiden, und doch geben sie Halt in der Komposition, an dem das Auge kurz zur Ruhe kommt.

Yulia Kazakovas Bilder entstehen nach dem Prinzip der Collage. Vorgefundene Bilder, eigene Fotografien oder Zeichnungen inspirieren sie für ihre Bildideen. Sie löst die Motive, Linien und Formen aus dem ursprünglichen Kontext und nimmt sie als Grundlage für ihre Malerische Grafik, wie die Künstlerin ihre Malerei nennt. Ihre konzeptuelle Arbeit ist durchdacht und pedantisch. Wie in einem aktiven Archiv beleuchtet Yulia Kazakova die Verwertbarkeit der Bildfragmente und sortiert das Gefundene neu. Die ausgesuchten Motivfragmente setzt sie wie Puzzlestücke zu einer ganz neuen Bildwelt zusammen. Durch die initiierte Metamorphose der Motive sowie deren Wiederholung und Verdichtung entstehen neue irreale Räume von Architekturen, die eine Unendlichkeit evozieren. Vorder- und Hintergrund scheinen ineinander zu verschmelzen, ohne jedoch in den einzelnen Elementen des Sujets abstrakt zu werden. Grundlage der künstlerischen Arbeit von Yulia Kazakova ist immer die Figürlichkeit in der Zeichnung, wodurch die als realistisch anmutenden Momente in den Bildern vordergründig sind und gleichzeitig die Irritation in der Gesamtkomposition potenzieren.

Illusionistische Konstruktionen durch Dekonstruktion, Verfremdung durch Überlagerung, Verdichtung und Wiederholung, assoziierte räumliche Realitäten durch lineare Konstrukte, erzeugte malerische Flächen durch abstrahierte reale Volumina – Yulia Kazakova zeigt in Ihren Werken eine Neuerschaffung von Architekturen und Lebensräumen. Ihre komprimierten Industriewelten zeugen von einem Grund liegenden Verständnis von Industrielandschaften und Industriekultur und spiegeln in letzter Konsequenz die innovativen Rückkoppelungen von einst in Gesellschaft und Kunst bis heute wider.

 

© Constanze Musterer Kunsthistorikerin M.A.

Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Yulia Kazakova – Ansichten

Die Ausstellung „Ansichten“ der jungen Künstlerin Yulia Kazakova ver- eint drei qualitativ vollwertige Werkphasen, die inhaltlich einen Bogen spannen von Blumensujets über technische Fortbewegungsmittel hin zur Industriearchitektur. Dieser Bogen mag für manch einen sehr wider- sprüchlich klingen, doch die Reihung hat sowohl von der künstlerischen Technik als auch vom Inhalt her eine eigene Konsequenz.

Yulia Kazakova ist eine Suchende und entwickelt sich nach dem Finden des Gesuchten zu einer beinahe fanatischen Puzzlerin: Die Suche nach Bildideen beginnt bei vorgefundenen Bildern, in eigenen Fotografien oder durch Zeichnungen. Hier findet sie Motive, Linien und Formen, die sie aus dem ursprünglichen Kontext löst und für sich in Anspruch nimmt. Spätestens hier beginnt die äußerst konzeptuelle künstlerische Arbeit von Yulia Kazakova, die sehr durchdacht und pedantisch das Gefundene neu sortiert. Wie in einem aktiven Archiv beleuchtet sie die Verwertbar- keit der Bildfragmente und bestimmt wie in einem Puzzle den Einsatzort der einzelnen Teile. Die ausgesuchten Motivfragmente setzt sie baukas- tenartig, nach dem Prinzip der Collage, zusammen bis eine ganz neue Bildwelt entsteht. Diese Bildwelt gibt den Blick frei auf irritierende Per- spektiven und imaginäre Räumlichkeiten, in denen Vorder- und Hinter- grund ineinander verschmelzen ohne jedoch dabei in den Elementen des Sujets abstrakt zu werden. Grundlage ist immer die Figürlichkeit in der Zeichnung und immer wieder gibt es ganz real anmutende Momente in den Bildern – zumeist in Personen, die dem Betrachter Halt geben in den utopisch und verwirrend erscheinenden Konstruktionen.

Illusionistische Konstruktionen durch Dekonstruktion, Verfremdung durch Überlagerung, Verdichtung und Wiederholung, scheinbar räumli- che Realitäten durch lineare Konstrukte, erzeugte Flächen durch abstra- hierte reale Volumina – Yulia Kazakova zeigt in Ihren Werken eine Neu- erschaffung von Natur und Architektur, in denen die menschliche Figur als reales Moment wie aus einer anderen Welt posiert.

Bilder aus einem Film oder einem Traum? Beim Eintauchen in die Bild- welten von Yulia Kazakova fühlte ich mich wie „Alice im Wunderland“. Und so möchte ich Ihnen die Transformationen und Metamorphosen der einzelnen Werkgruppen genauer vorstellen.

Die Naturbilder sind Arbeiten auf Papier. Yulia Kazakova sucht Details in ihren eigenen Fotografien von Pflanzen und Landschaft, um sie in neue Zusammenhänge zu bringen. Die Tuschzeichnung mit organischen vege- tabilen Formen und vereinzelten menschlichen Figuren entsteht daneben als eigenständiges Werk. Das Foto wird durch die Zeichnung komple- mentiert, in dem die Künstlerin beide Medien, also Foto und Zeichnung, durch Übereinanderlegen zusammenführt, um sie in einem weiteren Me- dium, dem Siebdruck, zu vereinen. Im Druck bleiben Foto und Zeich- nung transparent und erzeugen durch die bildlichen Überlagerungen ei- ne verwirrende, scheinbar räumliche Tiefe. Hierdurch entsteht eine Transformation der Sujets in eine surreale Einheit, die andere Wahr- nehmungen zulässt und neue Assoziationen initiiert. Die Komposition der einzelnen Bilder ist immer so angelegt, dass jedes für sich allein und in einem übergeordneten Gesamtbild, also einer Collage aus vielen Bildern, funktioniert. Die Künstlerin konzipiert hierfür inhaltliche oder stilistische Übergänge von einem zum jeweils nächsten Bild. Die gesamte Collage ist eine Transformation vom realen Foto zum abstrakten Bild, das durch den Druck auf Transparente zusätzlich eine verwunschen anmutende Bildtiefe erhält.

„Alice im künstlerischen Wunderland“ hat hier viel zu entdecken. Inhalte der vielen Bilder sind kultivierte Pflanzen oder Natur, die wiederum ihre eigenen Geschichten haben. Es geht hinter der Ästhetik der Bilder von Yulia Kazakova auch um den Bezug zur menschlichen Arbeit, die sich seit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft grundlegend und im schnellen Tempo verändert hat. Die vielen Schichten ihrer Bilder sind wie die Jahresringe der Historie, sie müssen entdeckt werden unter den Überlagerungen und wieder in das Bewusstsein geholt werden.

„Alice im künstlerischen Wunderland“ würde aus den Tiefen gern mehr erfahren und sucht in den Schichten. Sie staunt und will sehen, was die nächste Werkgruppe zeigt.
Die Serie Model Kit setzt sich aus sechs verschiedenen Modulen zu tech- nischen Fortbewegungsmitteln zusammen. Die Bildmodule mit Fahrrä- dern, Autos, Schiffen, Flugzeugen, Zügen und Motorrädern wirken wie Tuschzeichnungen, sind aber mit Acryl auf Papier gemalt. Die hinzuge- fügten Figuren dieser Serie wenden sich staunend schauend vom Bet- rachter ab hin zum jeweiligen Fahrzeug, das wohl spannenderes ver- spricht. Oder aber sie sind in sportlicher Aktion gleich einem Kräftemes- sen mit der Technik kompositorisch parallel gesetzt. Viele Fahrzeuge er- innern an die Anfänge ihrer technischen Entwicklung während die Figu- ren nicht einzuordnen sind. Hierdurch wird dem Eindruck einer zeitlichen Momentaufnahme widersprochen und die Figuren wirken, als würden sie zurück in die Historie blicken.

Yulia Kazakova fügt auch diese Bildmodule zu einer Wandinstallation zu- sammen. Sie konzipiert vorher dabei jedes Bild so, dass die einzelne Komposition in jeder Lage erhalten bleibt. Nach dem Collageprinzip setzt

sie die Bilder in verschiedenen Varianten aneinander und wie Puzzleteile ohne feste Ordnung sind sie wieder neu kombinierbar. Durch das Drehen und Kombinieren verändert jedes Bild seinen Inhalt, jedoch nie seine ausgewogene Komposition. Menschliches und technisches Kräftemessen, Entwicklung zu höchsten Geschwindigkeiten sowie zu Rekorden körperli- cher Leistungen – „Alice im technischen Wunderland“ würde am lieb- sten weiter puzzlen, doch beschleunigt selbst und fährt rasant der Ent- wicklung entgegen.

Die Industriebilder ist die derzeit letzte und jüngste Werkgruppe von Yulia Kazakova. Die großen Bilder sind die konsequente Folge aus den vorherigen Arbeiten: Das Prinzip der Collage wendet die Künstlerin nun auf das gesamte Bild an und setzt die für sich entdeckten Motivvorlagen nebeneinander. Dekonstruktion zum Zwecke neuer illusionistischer Kon- struktionen. Die Bilder sind ausschließlich in den variationsreichen Ab- stufungen von Schwarz und Weiß gemalt und die Künstlerin nennt hier ihre Technik entsprechend „Malerische Grafik“. Durch die Metamorphose der Motive und den Mustern der Wiederholung und Verdichtung entste- hen neue irreale Räume von Architekturen, die scheinbar bis ins Unend- liche gehen. Durch die Größe der Bilder und extreme Perspektiven, die Utopie und Geschwindigkeit vermitteln, wird der Betrachter förmlich in das Bild eingesaugt. Hier treffen die Entdeckungen der Renaissance auf die Entwicklungen im Cyberspace. Die hinzugefügten Figuren zeigen rea- listische Volumina und wirken dennoch flach. Wie künstlich und fehl am Platz trotzen sie als selbstvergessene Statisten der sie umgebenden rau- schenden oder emporsteigenden Architektur. Sie sind als Störelemente bewusst gesetzt, um jegliche Erinnerung an einen realen Raum zu ver- meiden, und doch geben sie einen Halt in der Komposition, an dem das Auge kurz zur Ruhe kommt.

Yulia Kazakova möchte die negativen Klischees von Industriebauten bre- chen und die Inhalte dieser historischen Architekturanlagen neu füllen. Nicht eine stereotype Industrie-Ästhetik ist dabei ihr Anliegen, sondern eine kontextuelle, räumliche und zeitliche Verortung der Industrieanla- gen. Ihre ästhetische und künstlerische Betrachtung zielt hier auf die unveränderbare Identität der durch die Zeit veränderten Bauwerke. Die Industrialisierung revolutionierte die Geschichte der Menschheit, der Technik und der menschlichen Arbeit und die Stichworte industrielle Kul- tur prägten ein ganzes Zeitalter.

„Alice im industriellen Wunderland“ ist beeindruckt und denkt nach über die Bedeutung von Industriekultur, die immer schneller werdenden Ent- wicklungen und versteht nun das Schwindelgefühl, das sie heimsucht in den großen Bauten von Yulia Kazakova. Sie nimmt Platz auf einem der Liegestühle und entdeckt die wunderbare Ästhetik und faszinierenden Details der einzelnen technischen Elemente.

 

© Constanze Musterer